Wien hat Informationen zu seinem Markenprozess verรถffentlicht. Bestandteile: Marken-Strategie-Entwicklung, Corporate Design (CD), Logo. Also alles wie immer.
Hier kann man schauen, was die Stadt selber dazu sagt: https://www.wien.gv.at/spezial/neuemarke/
Das Logo ist sehr gut. Schรถne Arbeit. Wien hat nicht den gleichen Fehler gemacht, wie viele andere Stรคdte und ein โmodernes, junges Logoโ entwickelt. Sie haben das gemacht, was man auch in der Wirtschaft macht: das Wappen verjรผngt.
Plus: Sie haben verstanden, daร man dafรผr Schriftexperten braucht. Wien hat sogar eine eigene Schrift entwickeln lassen. Das ist fรผr eine Stadt dieser Grรถรe und Bedeutung einfach Pflicht. Die Schrift ist prรคgnant, einzigartig und mit einem gewissen Esprit:
Allerdings โ finde den Fehler:
โโWir haben viele Logos zu einer starken Marke gebรผndeltโ, sagte Bรผrgermeister Ludwig. Das neue Design der Stadt legt Wert auf Klarheit, Einfachheit und Wiedererkennbarkeit.โ
Presse-Service Wien
Genau: ein Logo ist keine Marke und deswegen macht ein Logo auch keine Marke. Das Wien die unglaubliche Logo-Vielfalt, den Logo-Wild-Wuchs, nun eindรคmmt und auf ein einheitliches CD zurรผckfรผhrt, macht Sinn. Es ist in meinen Augen aber handwerkliche Basis-Arbeit, fรผr die man keine Pressemitteilung (PM) rausschickt. Unternehmen wรผrden sich bei so einer PM schรคmen.
Das CD ist fragwรผrig. Das Logo einzubinden ist in meinen Augen ein NoGo. Scheint witzig, ist aber infantil. Es nimmt die Kraft aus dem Logo. Leider ist es noch nicht einmal anarchistisch. Das wรคre mutig gewesen, sogar modern und sehr wienerisch. Besser kraftvoll, als infantil. Vielleicht hรคtte Wien fรผr diesem Fall zuviel Kaffeehaus-Romantik gehabt? Wobei das Kaffeehaus nie romantisch, aber immer demokratisch war. Nun.
Mehr Infos zum Thema Design im Designtagebuch: https://www.designtagebuch.de/die-stadt-wien-bekommt-ein-einheitliches-erscheinungsbild/
Wirklich schlimm ist der Strategieprozess. Unter dem Abschnitt โWofรผr Wien stehtโ heisst der Claim (?, Slogan?, Idee?) โDer Mensch in der Mitteโ.
Das ist keine Positionierung eines Lebensraumes, das ist ein Wunsch der Verwaltung. So mรถchten Verwaltungen gesehen werden, das sie den Mensch in die Mitte stellen. Eine Verwaltung, die den Menschen der Stadt freudvoll dient. Nur, auch wenn er stimmen mag, als solcher ist der Satz generisch: er gilt fรผr jede Stadt.
Und was ist der Wettbewerb von Stรคdten? Ein Wettbewerb um die freundlichste und modernste Verwaltung? Hier wurde das Leistungsversprechen schon zu Beginn miรachtet. Hรคtte der Mensch in der Mitte gestanden, wรคre wohl eine Postionierung herausgekommen bei der man spรผrt, daร der Mensch in der Mitte steht, statt es nur zu behaupten. Aber hey โ fรผr รผber 600.000,-โฌ war ein ordentlicher Strategieprozess auf Basis aktuellen Wissens wohl nicht mehr drin.
Das folgende Bild zeigt es: in Werkstรคtten werden generische Begriffe gesammelt. Keine Differenzierung, keine Eigenarten, sondern: falsch verstandene Beteiligung. Jeder darf irgendeinen Begriff an die Wand werfen und das Ergebnis ist die hรถchste Form eines Kompromisses โ eine all-beliebige Aussage. โ Der Mensch in der Mitte โ Damit kann einfach jeder leben. Das Gegenteil von Marke.
Das muss man Wien also lassen: vielleicht haben sie es wirklich geschafft, den beliebigsten aller Sรคtze, auf den sich eine Gruppe von Menschen einigen kann, festzuhalten.
Auf diese Art wird das groรe Wien, Hauptstadt eines Imperiums, Quelle der modernen Wissenschaften, Juwel Europas, wohl wieder nur ein Beispiel dafรผr, daร Stรคdte und Regionen in ihrem Markendenken die 1970-90er Jahre des letzten Jahrhunderts noch nicht verlassen haben.
Dabei begann in Wien der Aufbruch in die Moderne. Das ist kein Zufall. Das ist Marke. Die kulturelle Leistung eines eigenstรคndigen und einzigartigen Lebensraum.
Seiโs drum. In zehn Jahren gibt es den nรคchsten Versuch.
Bildquellen: die Bilder werden von der Stadt Wien zur Verfรผgung gestellt und sind vom Designtagebuch รผbernommen.